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Betriebliche Altersversorgung: Sind 100 Prozent Beitragsgarantien noch zeitgemäß?

Betriebliche Altersversorgung: Sind 100 Prozent Beitragsgarantien noch zeitgemäß?

Die Zinsen auf dem Kapitalmarkt sinken seit Jahren. Wegen der historisch hohen Neuverschuldung infolge der Corona-Pandemie ist mittelfristig kaum zu erwarten, dass sie wieder steigen. Damit gehen auch die Garantieverzinsungen in Lebensversicherungsverträgen kontinuierlich zurück, was sich wiederum auf die betriebliche Altersversorgung (bAV) auswirkt. Eine Lösung können innovative, flexible Anlagemodelle bieten, die auf die volle Beitragsgarantie verzichten, letztlich aber höhere Renditen ermöglichen. Hier ist auch der Gesetzgeber gefragt.

Die Entwicklung des Höchstrechnungszinses:

​07/1994–06/2000​4,00 Prozent
​07/2000–2003​3,25 Prozent
​2004–2006​2,75 Prozent
​2007–2011​2,25 Prozent
​2012–2014​1,75 Prozent
2015-2016​1,25 Prozent
2017-2021​0,90 Prozent
ab 2022 0,25 Prozent

(Quelle: aktuar.de)

Nach einer Verordnung des Bundesfinanzministeriums sinkt der Höchstrechnungszins für Neuverträge ab 1. Januar 2022 auf 0,25 %. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Versicherungswirtschaft. Nach Berechnungen der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) würde es künftig über 100 Jahre dauern, bis eine garantierte Leistung in Höhe der eingezahlten Beiträge erreicht wird. Hierbei wurden übliche rechnungsmäßige Kosten angesetzt. Daher ist zu erwarten, dass die Versicherungswirtschaft künftig keine Tarife mit hundertprozentiger Beitragsgarantie mehr anbietet.

Reduktion der Beitragsgarantie

 Im Bereich der bAV hat diese Entwicklung bereits eingesetzt. Im Neugeschäft mit beitragsorientierten Leistungszusagen (BOLZ) hat Marktführer Allianz die Garantie auf 90 % abgesenkt. Das setzt Maßstäbe für die Branche, und andere Versicherer sind dem Beispiel umgehend gefolgt. Arbeitsrechtliche Bedenken sieht die Allianz nicht. Die DAV bestärkt sie darin aus aktuarieller Sicht: Im Vordergrund stehe die zugesagte Leistung, nicht die Summe der eingezahlten Beiträge.

In der Tat gibt das Betriebsrentengesetz für die BOLZ – anders als für die Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) – keine bestimmte Mindestleistung vor. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) fordert in seinem Urteil vom 30. August 2016 (3 AZR 361/15), der Arbeitnehmer müsse bei Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung im Rahmen einer BOLZ wissen, welche Leistung er mindestens erhält. Zu deren Höhe hat sich das BAG dagegen nicht geäußert, sondern lediglich festgestellt, dass das Anlagerisiko nicht vollständig auf den Arbeitnehmer übertragen werden darf. Insofern ist eine weitere Reduzierung der Beitragsgarantie auf z. B. 80 % oder 50 % denkbar. Der Gesetzgeber ist gefordert, dem in Bezug auf die BOLZ Rechnung zu tragen. Die DAV fordert, die Mindestgarantie auch bei der BZML zu reduzieren und an die Gegebenheiten des Kapitalmarkts anzupassen.

Wertgleichheit bei Entgeltumwandlung

Die Wertgleichheit bei der Entgeltumwandlung, die das Betriebsrentengesetz vorschreibt, steht einer abgesenkten Beitragsgarantie nicht im Wege. Denn wertgleich kann nur sein, was der Versicherungsmarkt tatsächlich hergibt. Die DAV fordert lediglich, das versicherungsmathematischen Äquivalenzprinzip und die Verwendung angemessener Kalkulationsgrundlagen einzuhalten. Bei Versicherungen erwartet die DAV eine verursachungsorientierte Beteiligung der Versicherten an etwaigen Überschüssen. Wertgleichheit sei auch dann gegeben, wenn die Höhe des Deckungskapitals bei Eintritt des Versorgungsfalls unter der Summe der erhaltenen Beiträge liege.

Chancen auf dem Kapitalmarkt

Abgesenkte Garantien ermöglichen auf den Kapitalmärkten höhere Anlagechancen. Weniger Geldmittel werden in niedrig verzinslichen Anlagen gebunden und können stattdessen in renditestarke Substanzwerte, etwa in Aktien, investiert werden. Die positiven Effekte dieser größeren Anlagefreiheit zeigen sich insbesondere bei modernen Tarifen mit Fondsanteil. Zudem können Sicherungs- und Glättungsmechanismen in großen Kollektiven verhindern, dass Kapitalmarktschwankungen eins zu eins auf das einzelne Vorsorgekonto durchschlagen.

Eine jüngst vorgelegte Studie des Instituts für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) plädiert ebenfalls für eine Garantieabsenkung. Die daraus folgenden Renditechancen überstiegen das Verlustrisiko. Ab einem Garantieniveau von ca. 70 % würden die Risiken jedoch wieder ansteigen. Diesem Effekt lässt sich jedoch durch geeignete Anlagestrategien entgegenwirken, z. B. durch Umschichtungen von Aktien- auf Anleiheanlagen im Zeitablauf (Life-Cycle-Kapitalanlagemodell). Grundsätzlich gilt: Je länger der Anlagezeitraum, desto geringer das Risiko.

Fazit

Angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen sollte die bAV Garantien weitestgehend vermindern oder gar völlig darauf verzichten. Hierfür bieten sich innovative Kapitalanlagenmodelle an. Die Chancen, die sich vor allem langfristig auf dem Kapitalmarkt ergeben, wurden bisher viel zu selten genutzt. Moderne Tarifgestaltungen sehen daher abgesenkte Garantien und neben dem klassischen Deckungsstock auch Fondsanteile vor. Der Gesetzgeber sollte das Betriebsrentenrecht an die neuen Marktgegebenheiten anpassen, damit die bAV auch in Zukunft eine tragende Säule für die Vorsorge in Deutschland bleiben kann.

Autor

Dr. Carsten Schmidt

Manager / Aktuar (DAV/IVS)

carsten.schmidt@lurse.de

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